Treffen mit Alice Vadrot, Koordinatorin des Forschungsprojekts MARIPOLDATA
Die französisch-österreichische Forscherin Alice Vadrot erhielt 2018 ein prestigeträchtiges europäisches Stipendium für die Realisierung des MARIPOLDATA-Projekts. Gemeinsam mit ihrem Team verfolgt und analysiert sie insbesondere die laufenden Verhandlungen bei den Vereinten Nationen rund um ein neues Übereinkommen zum Thema marine Biodiversität in internationalen Gewässern.
Die Meerespolitik ist ein in der Öffentlichkeit noch wenig bekanntes Fachgebiet, zumal noch zahlreiche Unklarheiten bestehen. Der Referenztext zu diesem Thema stammt aus dem Jahr 1982: Es handelt sich um das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen und bis heute gibt es keine Regelung zur Biodiversität in internationalen Gewässern (d.h. in Gebieten, die mehr als 200 Meilen von einer Küste entfernt sind). Die Situation ist komplex, weil es starke Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Spezien (sowohl Pflanzen- als auch Tierarten) gibt, was es sehr schwierig macht, besonders schützenswerte Gebiete abzustecken, man spricht in diesem Zusammenhang von „ökologischer Vernetzung“. Außerdem liegen zu 95% der Meereslebewesen keinerlei wissenschaftliche Daten vor, da diese in den meisten Fällen nur in schwer zugänglichen Gebieten zu beobachten sind und derlei mit einem hohen finanziellen Aufwand verbunden ist. Um derartige Studien durchzuführen, brauchen die Forscher Boote, ferngesteuerte Sensoren, technische Infrastruktur und große Datenbanken („big data").
Die Verhandlungen zur Erarbeitung eines neuen Übereinkommens zur Biodiversität der Meere in Gebieten außerhalb nationaler Gerichtsbarkeiten (die Regierungskonferenz über Biodiversität oder kurz BBNJ) wurden 2018 bei den Vereinten Nationen aufgenommen. Diese sollen in einer vierten Sitzung fortgesetzt werden, deren Datum aufgrund der aktuellen Situation in Bezug auf COVID-19 erst festgelegt werden muss. Die BBNJ-Verhandlungen bieten Diplomaten die Gelegenheit, sich auszutauschen und neue Regeln festzusetzen, um dieses reiche und unterschätzte genetische Erbe bestmöglich zu schützen. Der Wissenschaft kommt bei diesen Verhandlungen eine wichtige Rolle zu, da sie das nötige Fachwissen beisteuert, das für bestimmte Entscheidungen, insbesondere im Hinblick auf Meeresschutzgebiete und Umweltverträglichkeitsprüfungen, unerlässlich ist. Die BBNJ-Verhandlungen sind daher ein außergewöhnlicher Fall, wo Wissenschaft und Diplomatie zusammenwirken.
Alice Vadrot von der Universität Wien und ihr Team verfolgen diese Thematik mit besonderem Interesse. Alice Vadrot ist eine französisch-österreichische Wissenschaftlerin und forscht am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Im Jahr 2018 erhielt sie ein europäisches Stipendium (ERC Starting-Grant - European Research Council), das die Finanzierung des innovativen Spitzen-Forschungsprojekts MARIPOLDATA für einen Zeitraum von 5 Jahren (2018-2023) sicherstellt.
Diese „wissenschaftspolitische Schnittstelle" bei den BBJN-Verhandlungen, wie die Forscherin es nennt, ist unter anderem Gegenstand der Studien im Zuge des Projekts MARIPOLDATA. MARIPOLDATA will die Frage beantworten „Wie beeinflusst Wissenschaft die Verhandlungen?“. „Für mich ist Umweltpolitik zum Schutz der Biodiversität gleichzeitig Wissenschafts- und Forschungspolitik. Man kann diese Aspekte nicht trennen“, erklärt Alice Vadrot.
Das interdisziplinäre Projekt verwendet eine qualitative ethnographische Methode in Verbindung mit bibliometrischen Analysen, um die wissenschaftliche Kapazität einzelner Länder am Verhandlungstisch zu bewerten. Die Ausarbeitung einer effektiven Methodik für BBJN-Verhandlungen würde die Entwicklung eines Instruments bedeuten, das bei internationalen Verhandlungen auch in anderen Bereichen zur Bewertung des Einflusses der Wissenschaft eingesetzt werden könnte.
Diese zweifache Analyse ermöglicht es, aufstrebende Akteure zu identifizieren, die in diesen Bereichen sehr aktiv sind, wie etwa die Europäische Union, die Vereinigten Staaten, China oder Japan. Andererseits hinken einige Länder weit hinterher und verfügen nur über wenige Daten, was ebenfalls eine Herausforderung für die Wissenschaft darstellt. Die 3 MARIPOLDATA-Fallstudien betreffen die Europäische Union, die Vereinigten Staaten und Brasilien.
Kurz vor Anbruch der bevorstehenden Dekade der Vereinten Nationen für Ozeanwissenschaft im Dienste der nachhaltigen Entwicklung (2021-2030) bleiben viele Fragen offen: Sollte das genetische Erbe der Ozeane ein gemeinsames Gut sein? Wie können und werden die Staaten beim Schutz und bei der Nutzung mariner Biodiversität in internationalen Gebieten zusammenarbeiten? Erste Entwürfe für mögliche Antworten könnten in den kommenden Wochen erarbeitet werden. Das wissenschaftliche Expertenteam mit Sitz in Wien verfolgt den Prozess mit großer Aufmerksamkeit.
MARIPOLDATA hat vom Europäischen Forschungsrat (ERC) im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms der Europäischen Union "Horizont 2020" (Grant Agreement Nr. 804599) eine Finanzierung erhalten.