Schon im Vorhinein galt Annie Ernaux als Favoritin. Nun ist die französische Autorin Annie Ernaux ihrer Favoritenrolle gerecht geworden und wurde mit dem Literaturnobelpreis 2022 ausgezeichnet. Sie ist damit die erste Frau der französischen Literatur, die mit der prestigeträchtigen Ehrung ausgezeichnet wird. Somit steht sie in einer Reihe mit den 15 französischen Schriftstellern, die vor ihr seit 1901 diese Würdigung erhalten haben.
1940 in bescheidenen Verhältnissen in der Normandie geboren, geht Annie Ernaux nach Rouen und dann nach Bordeaux, um zu studieren. Daraufhin legt sie 1971 ihre Zulassungsprüfung in Literaturwissenschaft ab. Die Autorin, die in ihren Arbeiten Literatur, Soziologie und Geschichte vermischt, verarbeitet ihre Erfahrungen des sozialen Klassenwechsels in einem weitgehend autobiografischen Gesamtwerk.
Ernaux bevorzugt eine „platte Schreibweise“ (Vgl. „écriture plate“) und stellt die literarische Ordnung genauso auf den Kopf, wie sie es mit der sozialen Ordnung tun möchte. Ihre Inspirationsquellen findet sie einerseits in der romanesken Tradition mit Themen wie der Zeit, der Erinnerung oder dem Vergessen und andererseits in Sujets, die „als der Literatur unwürdig betrachtet wurden“, wie etwa der Abtreibung von der sie in Les Armoires vides (Gallimard, 1974) und L’Evènement (Gallimard, 2000) erzählt. Letzteres wurde von Audrey Diwan 2021 verfilmt und mit dem Goldenen Löwen der Internationalen Filmfestspiele von Venedig ausgezeichnet.
Abgesehen von ihrer schriftstellerischen Karriere ist Annie Ernaux auch für ihr politisches Engagement bekannt, das von der politischen Linken geprägt ist.
Mit Les Années Super 8 (2022), hat die Autorin von La Place (Gallimard, 1983), für das sie den Prix Renaudot erhalten hat, La Honte (Gallimard, 1997) und Les Années (Gallimard, 2008), sich auch im Filmemachen ausprobiert, indem sie ihre Stimme über Bildausschnitte legte, die ihr Leben als junge Ehefrau und Mutter der 1970er-Jahre darstellen.
Das Institut français d’Autriche freut sich mit Annie Ernaux über den Literaturnobelpreis für den „Mut und die klinische Schärfe mit der sie die Herkunft, Entfremdung und gemeinsamen Zwänge der persönlichen Erinnerung aufdeckt“ – so die Begründung der schwedischen Akademie.