Heute feiern wir den „Journée international de la traduction“, den „Internationalen Tag der Übersetzung“, um diejenigen wie Sie zu ehren, die sich für die Annäherung der Kulturen und die Entdeckung fremdsprachiger Autoren einsetzen. Als Biograf mehrerer Schriftsteller, darunter des deutschen Autors Günter Grass und des französisch-österreichischen Autors Manès Sperber, haben Sie mehrere große Namen der europäischen Philosophie und Literatur übersetzt. Wir verdanken Ihnen vor allem die Übersetzungen von Freud, Goethe, Kafka oder Zweig, aber auch jene aktuellerer Autoren wie Thomas Glavinic oder Bernhard Schlink.
2018 wurde Ihnen der Prix Eugen-Helmé für Ihr Gesamtwerk als literarischer Übersetzer, das an die 200 Veröffentlichungen umfasst, verliehen. Vielen Dank, Olivier Mannoni, dass Sie sich Zeit genommen haben, um ein paar Fragen des Institut français d’Autriche zu beantworten.
IFA: Sie waren jahrelang Präsident der „Association des traducteurs littéraires de France (ATFL)“ und engagieren sich weiterhin auf diesem Gebiet. Wie schätzen Sie die Entwicklung des Berufs und seiner Anerkennung im Laufe der letzten Jahre ein? Wo muss man Ihrer Meinung nach die großen Prioritäten setzen, um den Beruf zu bewerben?
OM: Die Arbeit der Übersetzer wird immer stärker anerkannt, da sich deren Beruf kontinuierlich weiterentwickelt. Deren Urheberschaft des übersetzten Textes – sagen wir deren Co-Urheberschaft – wird weniger angefochten. Man stellt ihnen zur gleichen Zeit Fragen wie den Autoren der Bücher, die sie übersetzen. Sie selbst schreiben auch über ihre Arbeit. Ihre Konferenzen und Interviews ziehen ein Publikum an, dessen Interesse an deren Arbeit stetig wächst. Zeitgleich verschlimmert sich die materielle Prekarisierung. Jedes Jahr verlieren wir einen Teil unseres Einkommens, die Tarife haben sich in den letzten 20 Jahren kaum geändert und die Kosten sammeln sich. Die zwei großen Achsen, an denen die ATLF seit Jahrzehnten effizient arbeitet, sind die Anerkennung unseres Berufs und die Garantie einer wirklichen Stabilität auf diesem Gebiet.
IFA: Wie kann man sich die Arbeit eines Übersetzers genau vorstellen? Oder genauer gesagt, wie gehen Sie mit der Konfrontation mit dem Text um?
OM: Genau gesagt arbeite ich viel (ca. 14 Stunden pro Tag, 7 Tage die Woche) und an mindestens zwei Büchern gleichzeitig, um am selben Tag von einem Genre und einem Stil zum nächsten überzugehen. Ich mache eine erste Fassung „als Leser“, indem ich in dieser Fassung Empfindungen hinterlasse, die mir der Text vermittelt. Darauf folgt eine zweite „Korrekturfassung“, damit die entstandenen Fehler im Rahmen der Lesung und meiner ersten Eindrücke korrigiert werden. Und dann kommt noch eine letzte „Korrekturlesungsfassung“, um die Neugestaltung des literarischen Universums abzuschließen. Hinter mir steht eine Bibliothek mit tausenden Büchern, die meine Arbeit begleiten. Gleichzeitig ermöglicht uns – meinen Kollegen und mir – die Ecole de Traduction Littéraire (Asfored/CNL) ein bisschen etwas von der Freude, die wir bei unserer Arbeit haben, und die Methoden, die uns ermöglichen, diese zu erleben, zu vermitteln.
IFA: Da das Werk „Le grand rire des hommes assis au bord du monde“ (Philipp Weiss, Éditions du Seuil) eben in Frankreich erschienen ist und sich bereits über positive Kritiken freut, möchten wir Sie bitten, uns von einer Ihrer letzten Übersetzungen eines jungen österreichischen Autors zu erzählen?
OM: Die Erfahrung des „Grand Rire“ war einzigartig auf Grund seiner Maßlosigkeit, um nicht zu sagen seines verrückten Charakters. Ich habe auch andere Bücher österreichischer Autoren in den letzten Jahren übersetzt. Die Literatur dieses Landes scheint mir eine der fantasievollsten der deutschsprachigen Welt seit ein paar Jahren zu sein. Ich denke im Besonderen an „Das flüssige Land“ von Raphaela Edelbauer, einen irren Roman, der über Gedächtnis und Verbrechen halluziniert, oder an die Romane von Franzobel, wie „Das Floß der Medusa“ vor einigen Jahren, und „Die Eroberung Amerikas“, der in ein paar Monaten erscheinen wird. Diese sind in einem ganz anderen Stil geschrieben. Ich habe den Eindruck, dass sich die österreichischen Autorinnen und Autoren mehr Freiheiten zugestehen und sich mehr Raum für Fantasie geben. Ich hoffe, dass das so weiter geht. Die Literatur braucht mehr vom einen wie vom anderen.